Eisenbahn auf Stelzen

Zebras und Kuhantilopen grasen in der Savannenlandschaft vor der verschwommenen Skyline. Straußenvögel mit rosa Oberschenkeln laufen vorbei. An einem schattigen Busch machen zwei Löwen Nickerchen. Ganz normaler Alltag im Nairobi National Park, einem 117 Quadratkilometer großen Naturschutzgebiet mit mehr als 500 Vogelarten und so ziemlich allem, was Kenia an Wildlife zu bieten hat – außer Elefanten.

Vor 71 Jahren wurde der Park eingerichtet, vorangetrieben vor allem von der Idee, die Wildnis zu bewahren, um damit den Tourismus anzukurbeln. „Ein einzigartiger Ort, wo man sich erholen kann von dem städtischen Chaos“, murmelt der Ökologe Akshay Vishwanath, während er durch sein Fernglas die schlafenden Löwen beobachtet. „Luft ohne Abgase, ein Stück unberührte Natur. Wir müssen damit vorsichtig umgehen.“

Vishwanath ist Vorsitzender der „Freunde des Nairobi Na­tio­nal Park“ und macht sich Sorgen. Denn das Schutzgebiet ist bedroht: Kenias Regierung plant eine Eisenbahnlinie quer durch den Park. Sie ist Teil des Megaprojekts, die 100 Jahre alte, kaum noch funktionstüchtige Eisenbahnstrecke vom kenianischen Ozeanhafen Mombasa quer durch das Land nach Uganda zu modernisieren. Der Verkehrsweg ist wichtig für ganz Ostafrika und eine notwendige Alternative zu den überfüllten Straßen.

Die erste Teilstrecke von Mombasa nach Nairobi soll 2017 fertig werden. Der nächste Abschnitt von Nairobi nach Nai­va­sha ist das Problem: Sechs Kilometer sollen den Park von Süd nach Nord durchschneiden. Eine Alternativroute um das Gebiet herum ist der Regierung zu teuer, weil dann Grundstücke enteignet werden und ihre Eigentümer Entschädigung bekommen müssen. Schon die geplante Route kostet rund 1 Mil­liarde Euro. Für die Natur ist kein Ausgleich nötig.

„Es ist keine schöne Lösung, aber wir können so nicht weitermachen“, meint Fridah Karue, Hotelmanagerin in Nairobi. Sie lebt nicht weit vom Nationalpark entfernt. Morgens muss sie um 5 Uhr aufstehen, um nicht im Berufsverkehr festzustecken. Dann schafft sie die 27 Kilometer in 30 Minuten – nachmittags dauert es drei Stunden. „Wenn nur ein Teil der Pendler den Zug nehmen könnte, würde das einen großen Unterschied auf den Straßen machen“, sagt sie.

Nach den Regeln der Weltnaturschutzunion ist Bauen in den Kernzonen von Nationalparks verboten. Der Vorsitzende von Kenias Nationalparkbehörde, Richard Leakey, hat der Regierung aber zugesagt, unter bestimmten Bedingungen zuzustimmen: So soll die Trasse auf 20 Meter hohen Pfeilern verlaufen, damit auch Giraffen locker darunter durchlaufen können. Für die Fundamente müssen allerdings Löcher in den Steinboden gesprengt werden. Die für den Bau benötigten Straßen sollen später wieder verschwinden.

In der Umweltverträglichkeitsprüfung heißt es, Tiere würden höchstens temporär vertrieben. An Lärm seien sie ohnehin gewöhnt, weil der Park in der Einflugschneise zweier Flughäfen liegt. Unterschrieben hat Leakey aber noch nicht.

Ökologe Vishwanath hofft deshalb noch. „Die Konstruktion wird die Schönheit des Parks zerstören“, argumentiert er. Für ihn hat das Schutzgebiet auch einen Volksbildungswert: Er ist auch für Kenianer mit wenig Geld nutzbar, anders als andere Wildparks, die weit von den städtischen Gebieten entfernt liegen und mit teuren Lodges und Safaris auf vermögende weiße Touristen ausgerichtet sind. Der Nairobi National Park hingegen ist über Busse der Nationalpark-Behörde und auch mit privaten Autos zu erreichen.

Die Sonne sinkt tiefer und tiefer. Bald schließt der Park. Die Ausfahrt führt auf eine vielbefahrene Straße, auf der im Berufsverkehr Schrittgeschwindigkeit herrscht. Irgendwo in der Blechmasse sitzt Hotelmanagerin Karue in ihrem Auto und fragt sich, ob sie ihre Kinder noch zu sehen bekommt, bevor sie schlafen. „Ich bin wirklich dafür, die Natur und unsere Tierwelt zu erhalten, sagt sie. „Auch meine Kinder sollen das noch genießen können. Aber wenn ich wählen muss, dann wähle ich die Entwicklung.“